September: Lasst Bauarbeiter ins Land
September: Lasst Bauarbeiter ins Land
Wenn niemand da ist, der eine Baustelle einrichten und das Haus bauen kann, führen alle politischen Diskussionen über Wohnungsmangel ins Leere. Die Nachfrage im Bausektor ist auf Jahre gesichert. Nur: Der Beschäftigtenzuwachs hält bei Weitem nicht Schritt.
Wer aktuell durch Deutschlands Großstädte fährt, merkt: Der Bausektor hat Hochkonjunktur, sowohl der Hoch- und Tiefbau, als auch der Wohnungs- und Straßenbau. Im ganzen Land wird kräftig gebaut. Zuzüge und niedrige Zinsen sorgen für einen Boom im Wohnungsbau, während die Bundesregierung die Infrastruktur ausbaut.
Besonders in den Großstädten fehlen tausende neue Wohnungen. In den letzten Jahren gab es starke Zuzüge aus dem Ausland und durch Binnenwanderung. Die Auftragsbestände im Bauhauptgewerbe sind deshalb seit 2015 rasant gestiegen. Vor allem im Wohnungsbau haben sie sich in den letzten fünf Jahren fast verdoppelt. Dagegen berichtet der Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB) in seiner monatlichen Konjunkturumfrage über eine Geräteauslastung von ca. 80 Prozent im Hochbau und etwa 75 Prozent im Tiefbau. Dort ist also noch Luft nach oben. Woran mangelt es dem Baugewerbe dann?
Fertigstellungen müssen erhöht werden
Die Politik debattiert aktuell über eine Verschärfung der bisher weitestgehend wirkungslosen Mietpreisbremse und Einschränkungen für ausländische Investoren. Abgesehen davon, dass letzteres gegen die Kapitalverkehrsfreiheit in der EU verstößt, gibt es nur eine einzige, langfristig erfolgreiche Lösung zur Bekämpfung der Wohnungsnot: Die Bauzeiten müssen reduziert und die Fertigstellungen erhöht werden. Dies scheint neben der Ausweisung von zusätzlichem Bauland aktuell nur möglich, wenn Arbeitskräfte aus dem Ausland angeheuert werden können. Der GdW spricht von einer Kapazitätsauslastung, die insgesamt höher sei als im Bauboom der Nachwendezeit. Die folgende Grafik zeigt, dass in den letzten Jahren mit deutlichem Abstand am meisten im Wohnungsbau der Auftragsbestand gestiegen ist.
Das Problem des für die Baubranche eigentlich erfreulichen immer weiter steigenden Auftragsbestandes ist der Mangel an Fachkräften. Die Grafik zeigt, dass Auftragsbestand und Beschäftigtenzahl immer weiter auseinanderdriften: Im Juni waren 471.000 Personen im Bauhauptgewerbe beschäftigt und damit lediglich 22.000 Beschäftigte (4,9 %) mehr als im Jahr zuvor. Dies reicht bei weitem nicht, um die aktuellen Auftragsbestände abzuarbeiten. Während die Auftragsbestände im Bauhauptgewerbe nach wie vor ansteigen, ist die Dynamik beim Beschäftigungszuwachs verhalten. Laut IAB-Stellenerhebung sind im 2. Quartal 2018 im Baugewerbe 119.000 Stellen unbesetzt. Das Problem waren nicht etwa zu hohe Gehaltsforderungen (15 %), sondern immer mehr die fehlenden beruflichen Qualifikationen (23 %) oder schlicht zu wenige Bewerber (31 %).
Mit Geld könnte der Mangel letztlich aber doch zu tun haben: Im Gegensatz zum übrigen Arbeitsmarkt sind im Baugewerbe die Löhne relativ niedrig. Diese liegen mit einem durchschnittlichen Bruttoverdienst von 3.158 Euro im Monat im ersten Quartal 2018 ca. 17 % unter dem deutschen Durchschnitt. Damit bezahlt das Baugewerbe die viertniedrigsten Löhne aller Wirtschaftszweige. Für Schulabgänger macht es die Entscheidung für eine Ausbildung in dieser Branche nicht eben leichter.
Der ZDB plädierte deshalb jüngst dafür, ein Zuwanderungsgesetz auf den Weg zu bringen, um qualifizierte Einwanderung nach Deutschland zu erleichtern. Während Hochschulabsolventen bereits jetzt über die sogenannte „Blaue Karte“ der EU viele Möglichkeiten der Arbeitsmigration haben, sind die Hürden für Einwanderer mit beruflicher Ausbildung weitaus höher. Neben Fachkräften im Pflegebereich und den MINT-Berufen müsse es, so der Verband, Menschen in Bauberufen ermöglicht werden, in Deutschland arbeiten zu können.
In den folgenden Jahren ist, auch bedingt durch den demografischen Wandel, nicht mit einem Zuwachs an Arbeitskräften aus dem Inland zu rechnen. Deshalb bleibt nur die Möglichkeit, gezielt qualifizierte Fachkräfte für den Bausektor anzuwerben.
Nachfrage über Jahre hinweg gesichert – jetzt muss Politik handeln
Speziell der Wohnungsbau mit seinem hohen Auftragsbestand verlangt nach mehr Arbeitskräften. Alleine den Wohnungsbedarf, der durch Ersatz- und Zusatzbedarf bis 2025 in Deutschland entsteht, berechnen wir in unserer Wohnungsbedarfsanalyse auf knapp 250.000 Einheiten – jährlich. Darin nicht miteingerechnet ist der Nachholbedarf aus Wohnungen, die jetzt schon in den Städten fehlen. Die Nachfrage ist somit im Bausektor über die nächsten Jahre gesichert. Die Politik ist gefragt, Möglichkeiten zur Ausweitung des Arbeitsangebots zu schaffen, um weitere Preissteigerungen am Wohnungsmarkt zu verhindern und die Wohnkosten in den Großstädten nicht weiter ansteigen zu lassen.
Ansprechpartner: Robin Cunningham, Volkswirt bei bulwiengesa, cunningham [at] bulwiengesa.de