Berlin bleibt ein Experimentierfeld

Berlin bleibt ein Experimentierfeld


Büro
07.09.2020 Autor/en: Nicole Dornig
Auch wenn die Büros in den Peters-Höfen gerade nicht voll besetzt sind – der Leerstand auf dem Berliner Markt ist sehr gering.
Auch wenn die Büros in den Peters-Höfen gerade nicht voll besetzt sind – der Leerstand auf dem Berliner Markt ist sehr gering.

Für die GSG Berlin haben wir erneut den Berliner Büro- und Gewerbeflächenmarkt analysiert. Der Gewerbe-Pulsschlag skizziert, wie sich die – völlig unterschiedlichen – Bezirke entwickeln und wie sich die Krise auf den Berliner Büroimmobilienmarkt auswirkt. Eines der wichtigsten Ergebnisse: Auch 2022 wird der Büromarkt nahezu vollvermietet bleiben.

Zur Fortschreibung des 2019 erstmals vorgestellten Magazins Gewerbe-Pulsschlag hat die Gewerbesiedlungs-Gesellschaft (GSG Berlin) erneut die Mietdaten ihrer fast 50 Gewerbehöfe und -parks mit ca. einer Mio. m² vermietbarer Fläche gesammelt; diese wurden mit den Zahlen aus der ganzen Hauptstadt verglichen. Zudem haben wir die Daten zum gewerblichen Neubau und zu besonderen Leuchtturm-Projekten zusammengetragen, zur Nachfrage und zur Mieterstruktur der Gewerbeflächen in Berlin. Von Savills kommen die beiden Kapitel Branchentrends und Flexible Workspaces.

Berliner Büroflächenmarkt: die wichtigsten Ergebnisse

Inhaltlich lassen sich die Ergebnisse der Studie in zwei Hälften teilen: Den überaus dynamischen Berliner Büroflächenmarkt des Jahres 2019, in dem ein Nachfrageüberhang für steigende Preise und einer Leerstandsquote von minimalen 1,3 % sorgte, und eine Rezession ab Frühjahr 2020. Die derzeitigen wirtschaftlichen Entwicklungen – ausgelöst durch den Lockdown im Zuge der Corona-Krise – werden prognostisch dämpfend auf das Wachstum der Bürobeschäftigten in Berlin wirken. So wird zwar bis 2022 ein weiterer Anstieg erwartet, jedoch fällt dieser mit 1,3 % p. a. geringer als in der Vergangenheit aus. Dabei verhindern staatliche Instrumente wie das Kurzarbeitergeld einen massiveren Einbruch. Insgesamt kommen in Berlin in den nächsten drei Jahren nach aktuellen Modellen immer noch rund 32.000 Bürobeschäftigte hinzu. In Kombination mit den hohen Büroflächenfertigstellungen (555.700 m² Mietfläche-Gewerbe (MFG) im Jahr 2020 und 627.600 m² MFG 2021) wird sich die Spitzenmiete der Prognose zufolge bei rund 39 Euro je m² einpendeln, während die Durchschnittsmiete von 30 Euro je m² auf 27,10 Euro je m² im Jahr 2022 nachgibt.

Für den Gewerbe-Pulsschlag prognostizieren wir deutliche Effekte am Immobilienmarkt frühestens im Herbst 2020. Bereits jetzt sind aber Tendenzen erkennbar, etwa signifikante Veränderungen bei der Nachfrage von Digitalunternehmen und Start-ups. Die Flächennachfrage in diesem Segment hat sich von 36 % des Büroflächenumsatzes binnen Jahresfrist auf 18 % im ersten Halbjahr 2020 halbiert. Zudem macht die Wirtschaftsstruktur der Hauptstadt diese besonders für die Folgen der COVID-19-Krise anfällig. Denn die betroffenen Branchen wie Dienstleistung und Einzelhandel sind in Berlin deutlich überrepräsentiert.

Andererseits sind die zukunftsweisenden Branchen mittlerweile stark in der deutschen Hauptstadt vertreten. Dazu zählen der Wirtschaftszweig der freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen und der sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen, etwa Unternehmens-, Rechts- und Steuerberatung, sowie Unternehmen der Informations- und Kommunikationsbranche. Insgesamt verspricht die heutige, auf (moderne) Dienstleistungen ausgerichtete Berliner Wirtschaftsstruktur mehr Wachstum als die alte.

Auch bei der zweiten Auflage wird deutlich: Berlin ist aufgrund der diversifizierten Unternehmensstruktur nicht als einheitlicher Markt zu betrachten, sondern verfügt über verschiedene Teilmärkte, deren Entwicklungen sich aufgrund des Branchenmix auch unterschiedlich gestalten. In Friedrichshain-Kreuzberg sorgen unter anderem die Kreativunternehmen für eine starke Nachfrage. Entsprechend erhöhten sich die Neuvertragsmieten der GSG Berlin zwischen 2019 und 2020 in diesem Bezirk um 24 %, in Tempelhof-Schöneberg sogar um 100 %. Im gleichen Zeitraum stagnierten die Neuvertragsmieten dagegen in Neukölln, während für Mitte ein moderates Plus von 11 % in den Büchern steht.

Fazit: Berliner Büromarkt bleibt moderat stabil

Vor einem Jahr lagen die Prognosen für das weitere Wachstum der Bürobeschäftigten in Berlin noch bei rund 50.000 Personen in zwei Jahren. Nun sind die Perspektiven ungewisser und Fachleute gehen im besten Fall von einer Stagnation oder einem nur sehr geringfügigen Anstieg aus. Aber dieses Szenario ist aus heutiger Sicht das wahrscheinlichste. Erst mögliche Insolvenzen im Verlauf des zweiten Halbjahres 2020 könnten eine Korrektur nach unten mit sich bringen. Genauso gut kann der bislang starke Druck auf weitere und neue Büroarbeitsplätze mittelfristig aufrechterhalten bleiben und eine hohe Flexibilität in den Quartieren für die unterschiedlichen Anforderungen an konventionelle Büros, Flexible Workspaces oder sogar Industrie- und innerstädtische Logistikimmobilien erfordern. Der diesjährige Gewerbe-Pulsschlag zeichnet eher ein moderat stabiles Szenario für diese Fragen und relativiert die vielen Mahner und Heraufbeschwörer einer tiefen Krise.

Sonderthema Peripherie

Ein neues Sonderthema greift in der diesjährigen Ausgabe die zukünftigen Arbeitsorte in der Berliner Peripherie auf. Der Flughafen (BER) nimmt mit seiner Eröffnung Ende Oktober als wachsender Büro- und Gewerbestandort Gestalt an. Damit ist der Weg frei für die Urban Tech Republic auf dem alten Tegeler Flughafengelände und die in Nachbarschaft geplante Siemensstadt 2.0. Der Erfolg der Wissenschaftsstadt Adlershof, der ein wenig auf sich warten ließ, dann aber umfassend war, zeigt die Möglichkeiten und das Potenzial von peripher gelegenen Standorten auf. Aber er stellt auch dar, welche hohen Infrastrukturkosten mit der Entwicklung verbunden sind. Die gesamte Metropolregion Berlin wird in den kommenden Jahren weiterhin ein Experimentierfeld sein, an welchen Standorten welche Arbeitsplätze im gesamten Gewerbespektrum Nachfrage und Bestand haben werden. Vermutlich wird dieser Effekt eine kurz- bis mittelfristige Corona-Rezession überdauern.

 

Hinweis: Den Gewerbe-Pulsschlag können Sie auf der Website der GSG Berlin herunterladen.

Ansprechpartner: Nicole Dornig, Studienleiterin im Bereich Büroimmobilien, dornig [at] bulwiengesa.de