Offener Brief an Prof. Dr. Harald Simons

Offener Brief an Prof. Dr. Harald Simons


Hintergrund
03.04.2018 Autor/en: Martin Steininger

Eine Replik auf Ihr Statement vom 23. März 2018

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Simons,

„Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“

So lautet ein beliebtes Bonmot, das wahlweise Mark Twain, Karl Valentin, Niels Bohr oder auch Winston Churchill zugeschrieben wird. Von wem diese Aussage letztendlich stammt, weiß niemand so genau. Aber sie könnte gut hierzulande von Wohnungsmarktexperten kommen. Denn wie schwer es ist, die Zukunft an den Märkten vorauszusagen, wissen die Auguren nur zu genau. Blasen erkennt man meist erst dann, wenn sie geplatzt sind.

Wer hätte Mitte der letzten Dekade gedacht, dass die aktuelle Hausse am Wohnimmobilienmarkt so lange läuft? Dreizehn Jahre in Folge weist der bulwiengesa-Wohnimmobilienindex nominales Wachstum auf – seit dem Frühjahrsgutachten 2017 wachsen verstärkt die Zweifel, ob die Rally weitergeht oder nicht? Oder pendeln die Märkte eher seitwärts oder droht eine heftigere Korrektur? Vielleicht sogar ein Crash?

Die Diskussion um „Die Party ist zu Ende“ – Eine kurze Chronologie

Sie warnten im Frühjahrsgutachten 2017 Wohnungskäufer, dass in den meisten der sieben deutschen Großstädte die Preise überhitzt seien, eine Trendwende wäre unausweichlich. So weit, so gut. Da die Spielregeln des ZIA Frühjahrsgutachten keine Minderheitsvoten anderer „Immobilienweisen“ zulassen und jeder Immobilienweise für sein Kapitel eigenständig und selbstverantwortlich zuständig ist, sah sich bulwiengesa aufgrund einer Vielzahl von Presse- und Kundenanfragen nach der Quo Vadis 2017 Veranstaltung veranlasst, eine Pressemitteilung zu veröffentlichen. Anstelle realer Rückgänge von 25% bis 33%, die von empirica im FJG 2017 beschrieben wurden, sah bulwiengesa für 2017 (und den gesamten Prognosezeitraum bis 2021) keine Einbrüche, sondern weiterhin positive Signale für die Wohnimmobilienbranche – auch für München und Berlin. Der Urbanisierungstrend zieht die Menschen in die Städte, der Bedarf nach neuem Wohnraum liegt gerade dort weit über den Volumina, die die Bauindustrie im Stande ist, per annum fertigzustellen. Kurzum: Die seit Jahren anhaltende hohe Preisdynamik spiegelt größtenteils die – relativ zum Angebot – nach wie vor hohe Nachfrage nach Wohnraum wider. Der Markt ist stabil, eine Blase unwahrscheinlich.

Zwei Unternehmen, zwei unterschiedliche Sichtweisen: Die von Ihnen zitierte Berliner Immobilienrunde vom 27.04.2017 war auch die Plattform, wo Sie  und ich – in meiner Funktion als Chefvolkswirt von bulwiengesa und Verantwortlicher der Wohnimmobilienprognosen – uns duelliert haben. Keiner musste keinen bekehren, Argumente wurden im sportlich-wissenschaftlichen Wettbewerb ausgetauscht, die eher pessimistische bzw. optimistischere Sichtweisen jedes Unternehmen blieb bestehen. So auch der Tenor des FJG 2018 von Ihnen und meine aktuelle Sichtweise.

#EndeParty – Annäherung beider Unternehmen. Mitnichten!

Was als „bemerkenswerte Korrektur von bulwiengesa“, „faszinierend“ und anderen Worten von Ihnen in Ihrem Statement vom 23. März 2018 beschrieben wird, lässt mich irritiert zurück. Manchmal wäre ein Anruf bei dem Verantwortlichen besser als über qualitative Aussagen in einem Blog zu fabulieren und diese in suggestive Zahlendeuterei münden zu lassen. 16% Minus – so Ihre Modellrechnung für die angenommene Prognose von bulwiengesa – bleibt eine persönliche Meinung des Autors, sie entbehrt jeglicher Tatsachen; außer empirica kennt meine Berechnungen besser, was annahmegemäß nicht sein sollte.

Jeder sportlich-wissenschaftliche Austausch braucht auch einen Schiedsrichter

Kurzum: bulwiengesa hat weder das Prognosemodell geändert, noch seine Meinung zum Wohnimmobilienmarkt angepasst, noch lassen wir uns von anderen Marktmeinungen leiten. Wir stehen im Wettbewerb, wir respektieren andere Meinungen zum Marktgeschehen, wir geben aber auch unsere Meinung preis. Das ist unser Anspruch an den Wettbewerb: Möge der Bessere gewinnen, der Kunde darf nun gerne Schiedsrichter sein.

Somit veröffentlichen wir unsere Prognosen für Berlin und München aus dem Frühjahr 2017 und Frühjahr 2018, um Klarheit in die Diskussion zu bekommen. Im Folgenden stellen wir die entsprechenden Prognosen graphisch in Indexform (Frühjahr 2017: Basisjahr 2016=100) und (Frühjahr 2018: Basisjahr 2017=100) für die Kaufpreise Wohnen Bestand und Neubau dar. Der von Ihnen prognostizierte Rückgang der Immobilienpreise von real 25% bis 33% (nominal bei einer Inflationsrate von 1,5% in den nächsten Jahren: 17% bis 25%) wird farblich in beide Grafiken eingezeichnet – entscheiden Sie, ob es sich um eine Korrektur unserer Meinung handelt oder weiterhin zwei unterschiedliche Meinungen im fairen Wettstreit nebeneinander bestehen.

Berlin und München - Wohnen (Bestand und Neubau)

Last but not least: Ein generelles – persönliches – Statement zur Blasendiskussion

Risiken bestehen bei jeder Geldanlage, insbesondere wenn sich die Finanzierungen als nicht nachhaltig erweisen, sollten die Zinsen steigen oder sich die dynamische Preisentwicklung umkehren. Dem Investor muss aktuell bewusst sein, dass der Wachstumspfad nicht an der Talsohle beginnt, sondern das Gipfelkreuz bereits sichtbar ist. (Lokale) Wertkorrekturen sind nicht unwahrscheinlich, sie gehören zum gängigen Marktmechanismus. Langfristige Trends ändern sich wie die Welt, in der wir leben, und ein Aufpreis von beispielsweise 10% hat keine blasenmäßige Implikation. Was soll das für eine Blase sein, die nach ihrem Platzen noch 90% ihres Volumens hat? Oftmals geht es dann in erster Linie um Effekthascherei, weniger um den Dienst an der wissenschaftlichen Analyse.

München, den 27.03.2018

Mit freundlichen Grüßen

Martin Steininger
Chefvolkswirt bulwiengesa AG