Auf in den Baumarkt

Auf in den Baumarkt


Einzelhandel
09.04.2020 Autor/en: Dr. Joseph Frechen

In den meisten Bundesländern sind Baumärkte nicht vom Shutdown betroffen und ein regelrechter Kundenmagnet. Im März stiegen die Umsätze kräftig; umso mehr überrascht da die Randnotiz, dass Obi und Hagebau ihre Lieferanten gerade um verlängerte Zahlungsziele baten. Seit Jahren entwickelt sich der DIY-Handel positiv – und steckt doch inmitten eines Transformationsprozesses.

Zunächst scheinen Baumärkte hinter die allgemeine Entwicklung zurückzufallen: Laut statistischem Bundesamt haben die Umsätze im Einzelhandel 2019 um rund 3,1 % zugenommen, wogegen der Do-it-Youself (DIY)-Handel mit einem Umsatzwachstum von rund 2,0 % gegenüber dem Vorjahr nicht in selber Höhe partizipieren konnte.

Aktuell gehören Baumärkte zu den Profiteuren der Corona-Krise. Denn in vielen Bundesländern ist die Warengruppe DIY nicht vom Shutdown betroffen. Daher könnte der massive Jahresumsatzrückgang, der viele Branchen des aperiodischen Bedarfs treffen wird, ausbleiben. Und auch wenn Amazon und einige andere Onlinehändler gerade goldene Zeiten erleben – die Corona-Pandemie beschert auch vielen Branchen im Onlinehandel massive Umsatzverluste. Für die Warengruppe DIY & Blumen zeichnet sich jedoch auch im Onlinehandel ein eher positives Bild für das erste Quartal 2020 ab, dort konnte sie um 3,8 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum zulegen. Insgesamt – stationär und online zusammengenommen – erzielte die Warengruppe laut bevh im vom Shutdown bereits hart getroffenen Monat März einen Umsatzanstieg von 8 % gegenüber März 2019.

Baumärkte erleben nicht nur einen starken Start ins Jahr 2020, sondern lieferten bereits in den vergangenen Jahren durchweg positive Zahlen bei wichtigen Kennziffern wie Umsatz und Flächenproduktivität.

Viele Baumärkte verstärken ihren grünen Sortimentsbereich mit Artikeln für Balkon, Terrasse und Garten

Transformationsprozess ist im vollen Gang

Der DIY-Markt in Deutschland befindet sich in einem Transformationsprozess. Branchenfremde Anbieter wie beispielsweise die Lebensmittel-Discounter werben mit günstigen Heimwerker- und Gartenartikeln. Ebenso er­schließt sich Ikea als Einrichtungsprofi immer weiter das Segment der Baumarktartikel. Hinzu kommen Ni­schenanbieter wie Fishbull, der mit dem kleinflächigeren Konzept der „Sonderpreis-Baumärkte“ bereits über rund 250 Standorte verfügt. Der wachsende Onlinehandel von Baumarktartikeln setzt der Branche ebenfalls zu. Die großen Player im E-Commerce, wie Amazon und Ebay, stellen auch in dieser Sparte eine zunehmende Konkurrenz dar. Rund 50 Prozent der Onlineumsätze des Heimwerkerbedarfs werden vom Onlinehändler Amazon erwirtschaftet, wie eine Studie des Handelsver­bands Heimwerken, Bauen und Garten (BHB) aufzeigt. Die klassischen Baumarktbetreiber reagieren auf diese Konkurrenz vor allem mit hohen Investitionen in eigene Onlinekanäle sowie der Schärfung der individuellen Stra­tegie. Die Anbieter toom und HELLWEG haben sich zu­dem zu einer Einkaufsgemeinschaft zusammengeschlos­sen, um gemeinsam günstigere Einkaufskonditionen zu erhalten und sich dadurch besser gegen die genannten Onlineplattformen behaupten zu können.

Baumärkte als „Customer Experience Stores“

Zunehmend ist eine Entwicklung der Bau- und Heim­werkermärkte hin zu „Home-Improvement-Stores“ mit verstärkt „grünem“ Sortimentsbereichen wie Artikeln für Balkon, Terrasse und Gärten oder auch „Soft-DIY“-Pro­dukten wie Dekoration, Heimtextilien oder Bastelbedarf zu beobachten. In vielen Fällen werden die aufgeführ­ten Sortimente dann noch um E-Bikes, Fahrräder und Autozubehör ergänzt. Neben der Diversifikation des Angebots sind die Betreiber darum bemüht, die Auf­enthaltsqualität in den Filialen weiter zu verbessern.

Zukunftsfähige Baumarktkonzepte sehen dabei eine ausgeprägte Serviceleistung und Beratung sowie aus­reichend Test- und Ausprobierflächen als existenziell an. Branchenführer* OBI legt beispielsweise bei der Umgestaltung sei­ner Filiale in Köln-Marsdorf den Fokus auf eine offene, helle und übersichtliche Gestaltung der Verkaufsfläche. Es entsteht ein „Experience Store“ mit Testflächen für Garten- und Reinigungsgeräte sowie einer Gratiswerk­statt, in der Kunden sich im Schrauben, Schleifen, Boh­ren und Lackieren ausprobieren können. Dabei gehört zu einer ausgeprägten Serviceleistung mittlerweile nicht mehr nur die Produktberatung, sondern auch vermehrt die individuelle Projektbetreuung. Bei OBI gibt es beispielsweise für die Gartenplanung einen Online-Generator, über den Kunden ihr Projekt vom Materialeinkauf bis zur Umsetzung planen können. Auch toom hat das Serviceangebot erweitert und bietet die Leistung eines Handwerkskoordinators an, der den Kun­den nicht nur beim Materialeinkauf unterstützt, sondern über den auch die anschließenden Handwerksarbeiten abgewickelt werden können.

Der hagebau-Gesellschafter Möller & Förster testet in Hamburg das von ihm neu entwickelte DIY-Format HORST. Der nur 800 qm Verkaufsfläche große Laden fokussiert auf die Artikelgruppen Befestigungstechnik, Farbe, Licht, Dekoration, Aufbewahrung, Garten und Elektrowerkzeuge. Das Format richtet sich an die junge Generation, die in der näheren Umgebung wohnt und selbst ihre Wohnung renovieren möchte. Wichtiger Be­standteil des Konzepts sind dabei Dienstleistungen, wie bspw. ein kostenfreier Ausleihservice für Werkzeuge und Maschinen, der Verleih von Lastenfahrrädern und die Vermittlung von Handwerkerservices. Ergänzend werden Kurzworkshops zu einfachen handwerklichen Tätigkei­ten im Laden gegeben, ebenso intensivere Workshops auf einer Nebenfläche. Bei einer erfolgreich verlaufen­den Testphase ist ein Roll-Out in andere Stadtteile oder Großstädte nicht ausgeschlossen.

HORNBACH wiederum bietet für den Bereich Bäder und Küchen einen eigenen Planungs- und Montageservice an. Auch BAUHAUS un­terstützt Kunden bei der Planung und Vermittlung von Handwerksbetrieben. Dabei zeigt sich, dass besonders jüngere Käufer diese Dienstleistungen mittlerweile er­warten. Der Ausbau der Gastronomiebereiche kann die Ausrichtung auf die Customer Journey abrunden. Deutlich wird: Die Fo­kussierung des Baumarktbesuchs auf Erlebniseinkauf hat großes Potenzial, sich als erfolgversprechende Stra­tegie zu etablieren.

 

* Details und wichtige Kennziffern (Datenstand 2018) finden Sie im 14. Retail Real Estate Report (pdf) der Hahn Gruppe.

Ansprechpartner: Dr. Joseph Frechen, Bereichsleiter Einzelhandel, frechen [at] bulwiengesa.de