Hightech-Spiegel und sprechende Schaufenster – so ticken Läden heute
Hightech-Spiegel und sprechende Schaufenster – so ticken Läden heute
Einzelhändler überlassen auf ihren Flächen eigentlich nichts dem Zufall. Aber bis jetzt haben nur wenige Vorreiter echte technologische Innovationen auf ihren Flächen implementiert. Vor allem in Shoppingcentern und Highstreet-Lagen wird der Einzug neuer Technologien nicht aufzuhalten sein.
Eine der wichtigsten Herausforderungen des Einzelhandels in den letzten zehn Jahren bestand darin, unterschiedliche Trends im Bereich Ladengestaltung und technologische Innovation mit den Kundenerwartungen in Einklang zu bringen. Das ist nicht einfach, denn die Anforderungen der Kunden an Komfort, wie sie ihn etwa vom Onlineshopping her gewohnt sind, und persönlicher Nähe (Hightouch) sind zunächst widersprüchlich. Muss es aber nicht sein, wie verschiedene Beispiele zeigen.
Beispiel 1: Farfetch, der erfolgreiche Innovator
Die inzwischen größte Online-Plattform für Luxusmode dient als virtueller Marktplatz für Boutiquen und Modehäuser. Ihr stationärer Prototyp „Store of the Future“ in London integriert seit April 2017 technologische Anwendungen im stationären Verkauf. „Augmented Retail“ nennt das Unternehmen seine Vision, die das physische, persönliche Erlebnis im Geschäft mit den Vorteilen der Online-Erfahrung verbindet. Gemeinsam mit anderen Start-ups hat Farfetch Module entwickelt, die in das „Store of the Future“-Konzept integriert werden können – wie Apps auf einem Smartphone, so beschreibt es die Textilwirtschaft. Das Konzept kann auch von den Marken- und Boutique-Partnern ganz oder in einzelnen Komponenten übernommen werden. Die Kosten für Hardware und Einrichtung tragen die Partner.
Wie sehen diese Module aus? Zum Beispiel analysiert Farfetch die Bewegungen des Verbrauchers im stationären Geschäft. Die betrachteten Produkte werden in einer individualisierten Wunschliste erfasst. Im Anschluss kann der Kunde in smarten Spiegeln ausgewählte Kleidungsstücke virtuell anprobieren und gleich in verschiedenen Farben und Ausfertigungen via Click betrachten. Die Technologien sollen die Einzelhandelsproduktivität steigern; dazu werden Verbraucherdaten erfasst und die Interaktion zwischen Kunden und Vertriebsmitarbeitern verbessert. Die Technologie des „Store of the Future“ wurde im März 2018 im Flagship Store des Designers Thom Browne in New York eingeführt. Anscheinend überzeugt die Technologie auch Traditionsfirmen: Im Februar 2018 hat Farfetch eine globale Innovationspartnerschaft mit CHANEL angekündigt, mit der eine Reihe von digitalen Initiativen – online und offline – entwickeln werden.
Noch ist nicht ausgemacht, ob es sich bei den Applikationen um kurzfristige PR oder langfristige Umsatzsteigerung handelt. Klar ist: Bei Erfolg könnten die vielfältigen, technischen Applikationen des Unternehmens neue Standards im Einzelhandel setzen.
Beispiels 2: adidas druckt Schuhe
Adidas setzt verstärkt auf Digitalisierung und maßgeschneiderte Produkte mit Hilfe der 3D-Druck-Technologie. Schon 2017, so schrieb die Textilwirtschaft, sollten 5.000 Paar Schuhe mit individualisierten Sohlen aus dem 3D-Drucker stammen; im laufenden Jahr 2018 sollen es bereits mehr als hunderttausend Paar sein. Der Kunde erhält so ein individuell für ihn hergestelltes Produkt. Nach jüngsten Erkenntnissen von Adidas sind die Kunden bereit, für diese Schuhe wesentlich mehr zu bezahlen als für in Serienproduktion hergestellte Projekte. Laut Adidas soll die Produktion schon bald in die Shops verlagert werden. In drei bis fünf Jahren könnten Kunden ihre maßgefertigten Schuhe direkt im Laden mitnehmen.
Beispiel 3: Amazon und Saturn ohne Kassen
Der Elektronikfachhändler Saturn hat im März 2018 ein Pilotprojekt in seiner Innsbrucker Filiale gestartet, wie die PC-Welt berichtete. In dem Saturn Express genannten Pilotmarkt wird der Kassenbereich abgeschafft. Die Kunden bezahlen stattdessen per App direkt am Regal. Die Kunden scannen mit einer für Saturn entwickelten App den Barcode der gewünschten Produkte und bezahlen dann via Kreditkarte oder PayPal. Die App können sich die Kunden kostenlos auf ihr Smartphone laden. Der Kunde muss sich für die App einmalig registrieren und kann dann die gewünschten Waren einfach selbst mit der App scannen und den Bezahlvorgang auslösen.
Amazon erprobt mit seiner Supermarktkette Amazon Go in den USA schon länger ein ähnliches Konzept: Kunden mit Amazon-Konto brauchen ebenfalls die entsprechende App auf ihrem Smartphone und registrieren sich damit beim Eingang. Sensoren und Kameras erfassen, welche Produkte der Kunde in seinen Einkaufskorb legt oder auch wieder herausnimmt und addieren diese automatisch.
Was gibt es sonst noch? – Eine Übersicht
- In „Connected Stores“ werden die Bewegungen des Verbrauchers im stationären Geschäft analysiert. Dies passiert beispielsweise über Beleuchtungssysteme: So hat etwa Philips seine Lampen mit Sensoren ausgestattet, die Frequenzmessungen durchführen. Dadurch können weniger frequentierte Bereiche identifiziert und idealerweise besser ausgenutzt werden. Die betrachteten Produkte werden in einer individualisierten Wunschliste gesammelt.
- Im Modeeinzelhandel kommen intelligente Umkleiden zum Einsatz. Dazu werden im Innern der Umkleidekabinen Displays installiert. Darauf werden die mitgenommenen Artikel angezeigt und dem Kunden auf dem Display verschiedene Funktionen zur Verfügung gestellt, z. B. Informationen über die Warenverfügbarkeit (Größen, Farben etc.), Service auf Knopfdruck, Kombinationsmöglichkeit mit anderen Artikeln, Social-Media-Funktionen oder Änderung der Beleuchtung in der Kabine.
- Schon heute setzt der stationäre Handel in großem Umfang kontaktloses Bezahlen, Selfscanning oder Beacons ein. Beacons sind kleine Bluetooth-Sender, die Kunden mit entsprechender Smartphone-App innerhalb eines Ladens lokalisieren und ihm personalisierte Angebote zur Verfügung stellen können. Während Selfscanning zunehmend angenommen und umgesetzt wird, wird die Beacon-Technologie nur verhalten eingesetzt und weiterverfolgt. Es gibt bereits erste Stimmen, die der Verbreitung der Beacon-Technologie im stationären Einzelhandel keine Chancen einräumen.
- Intelligente oder virtuelle Schaufenster übernehmen Zusatzinformationen wie Aktionen und Angebote, Bewerbungen von Events und Ereignissen oder Einbindung von Produktbildern und -videos in die Schaufensterfläche. Passierende Kunden können mit ihrem Smartphone in Interaktion treten und gegebenenfalls einen Kauf tätigen, auch wenn das Geschäft geschlossen hat. Insbesondere für Ladengeschäfte in belebten Innenstädten ergeben sich so zusätzliche Umsatzchancen mit ihren Stammkunden. Schmuckgeschäfte nutzen diese Applikation als Nachtschaufenster, während die echten Stücke im Tresor lagern.
- Auch für bestehende Ladenfläche kristallisieren sich neue Konzepte heraus: So geht beispielsweise Tommy Hilfiger davon aus, künftig bis zu zwei Drittel der Fläche nicht mehr für den klassischen Verkauf der Waren zu nutzen. Die Fläche wird für Technologien wie Orderpoints oder Flatscreen-Wände genutzt, auf denen permanent Werbeclips und Posts gezeigt werden, sowie für eine Lounge und Café. Die Nutzungen und Aktivitäten vermengen sich zunehmend; die Ladenfläche wird "Multi-Use-fähig".
Technisierung der Ladenflächen wird weiter zunehmen
Viele dieser Entwicklungen werden bereits heute im stationären Einzelhandel eingesetzt. Neue Technologien befinden sich in Vorbereitung, um Kunden beim Betreten des Ladens sofort zu erkennen und so persönlich zu bedienen, wie sie es aus ihrem Online-Kaufprozess kennen und schätzen. Laufend kommen neue Entwicklungen auf den Markt, und darin liegt auch das Problem: Auf welche Technologie soll der stationäre Einzelhandel setzen? Was ist erfolgreich und wird sich durchsetzen? Und welche Technologien sind verzichtbar, da sie weder für den Einzelhändler noch Kunden einen Mehrwert bieten?
Fazit: Durch die technologische Unterstützung wachsen der stationäre Laden und der Onlinestore zu einer Einheit zusammen. Einzelhandelsunternehmen, die noch keinen eigenen Onlinestore führen, dürften so ebenso ins Hintertreffen geraten wie Onlinestores, denen ihr stationäres Standbein fehlt. Daher ist in den nächsten Jahren von einer erhöhten Technisierung der stationären Einzelhandelsfläche auszugehen, die neben den Geschäften in Shoppingcentern insbesondere Einzelhändler in Highstreet-Lagen erfassen wird. Zum anderen wird eine verstärkte Expansion der Pure-Internet-Player erwartet – einige haben ja bereits stationäre Läden eröffnet, wie mymuesli oder Mister Spex. Durch ihre räumliche Präsenz erhöhen sie die Nähe zu ihren Kunden und können eine vollständige "Customer Journey" (Kundeneinkaufsbummel) abbilden.
Die technologische Ausstattung der stationären Geschäfte führt jedoch auch zu einem Anstieg der Investitionskosten je Laden. Die mögliche Folge: eine verstärkte Optimierung des bestehenden Ladennetzes, um bei reduzierter Ladenzahl einen hohen technologischen Standard durchsetzen zu können. Flagshipstores der Markenhersteller und internationale Filialisten dürften die Schrittmacher dieser Entwicklung werden. Erste Anzeichen dieser Entwicklung sind derzeit bei Zara und H&M zu beobachten, die sich in den Hightstreets deutscher Großstädte und Metropolen bereits auf eine geringere Anzahl, dafür aber flächengrößere Ladengeschäfte konzentrieren.
Ansprechpartner: Dr. Joseph Frechen, Leiter der Niederlassung Hamburg bei bulwiengesa, frechen [at] bulwiengesa.de