Wohnungsbau Berlin: Sehenden Auges in den Mangel
Wohnungsbau Berlin: Sehenden Auges in den Mangel
Seit 2008 sind gerade einmal 54 Prozent aller genehmigten Wohnungen in Berlin auch fertiggestellt worden. Vor allem für Menschen mit mittleren Einkommen gibt es zu wenig Mietwohnungsangebote.
Im Auftrag des BFW Landesverbandes Berlin/Brandenburg e. V. haben wir den Wohnungsmarkt in der Hauptstadt untersucht. Dazu wurden die aktuellen Strukturen des Projektentwicklermarktes bis Ende 2021 sowie die Neubautätigkeit analysiert und 885 Datensätze unserer Objektdatenbank ausgewertet.
Das wichtigste Ergebnis: Die Fertigstellung von neuen Wohnungen ist weit niedriger als die Zahl der Genehmigungen. Zwar stiegen seit 2008 die Genehmigungszahlen für Wohnungen deutlich an, aber die Anzahl der Fertigstellungen ist mit 54 Prozent bisher nur etwa halb so hoch. In den letzten zehn Jahren hat sich ein Genehmigungsüberhang von rund 48.000 Wohnungen aufgebaut.
Miet- und Wohnungsbaupolitik in Berlin ist hochkomplex
Die Gründe dafür sind stark verlängerte Planungs- und Genehmigungsprozesse im Wohnungsneubau, die Verknappung von Bauland sowie Investitionskosten, die sich seit 2009 verdoppelt haben. Außerdem dämpfen Bürgerproteste und knappe Kapazitäten im Baugewerbe den Wohnungsneubau in der Hauptstadt deutlich.
Wird ein Bebauungsplanverfahren durchgeführt, so verlängert dies die Realisierung eines Bauvorhabens zusätzlich. Den Bebauungsplänen, die 2017 festgesetzt wurden, ging eine durchschnittliche Laufzeit von zwölf Jahren voraus.
Die aktuelle Bautätigkeit wird daher von Bebauungsplänen der vorherigen Senatoren getragen. Die Planungsprozesse müssen dringend beschleunigt werden, da geringere Fertigstellungszahlen in fünf bis acht Jahren bereits heute abzusehen sind.
Grundstückskaufpreise explodieren – dabei gibt’s eigentlich noch Flächen
Die Kaufpreise von unbebauten Grundstücken für Mehrfamilienhäuser haben sich in den vergangenen fünf Jahren fast versiebenfacht und sind regelrecht explodiert. Areale in gefragten Stadtteilen Berlins kosten deshalb nicht selten 3.000 Euro pro qm vermarktbarer Wohnfläche und mehr. Parallel dazu sank die Anzahl der Verkaufsfälle um 40 %. Aber eigentlich gibt es in Berlin noch ausreichend städtische Bauflächen für Wohnungsentwicklungen – diese bleiben jedoch ungenutzt, beispielsweise aufgrund von Zuständigkeitskonflikten, langen Übertragungsabläufen oder aus politischen Gründen.
Auch dadurch, dass viele Grundstuücke mit Baurecht weiterverkauft werden, steigen die Miet- und Kaufpreise sehr schnell. Die Erschwinglichkeit von Wohnraum ist in den vergangenen Jahren stetig gesunken. Insbesondere Familien mit Kindern, aber auch Senioren fällt so eine Versorgung mit passendem, bezahlbarem Wohnraum immer schwerer. Als Konsequenz wandern viele Menschen ab – die Fortzüge aus Berlin ins brandenburgische Umland haben sich allein in den vergangenen fünf Jahren auf mehr als 10.000 Einwohner jährlich verdoppelt.
Mietwohnungsbau wird immer wichtiger, vor allem in Außenbezirken
Die stetig wachsende Einwohneranzahl in der Hauptstadt lässt die Wohnungsnachfrage weiter steigen. Den aktuellen bulwiengesa-Daten zufolge werden bis 2021 insgesamt über 85.000 Geschosswohnungen realisiert. Die Zielgröße von jährlich 20.000 Neubaueinheiten wird vermutlich nicht erreicht, zumal der Wohnungsmarkt bereits heute angespannt ist.
In Berlin dominiert der Mietwohnungsbau, dessen Bedeutung bis 2021 weiter steigen wird. In den Außenbezirken werden mehrheitlich neue Mietwohnungen entstehen, in den Berliner Innenbereichen zu etwa gleichen Anteilen Eigentums- und Mietwohnungen. Private Akteure bestimmen das Baugeschehen, wobei die kommunalen Wohnungsgesellschaften ihre Bedeutung erhöhen. Die Bautätigkeit von preisgedämpftem Mietwohnungsbau wächst durch das „Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung“ – private Investoren werden über einen städtebaulichen Vertrag zum Bau von 30 % als preisgebundenem Mietwohnraum angehalten. Den Großteil der preisgebundenen Wohneinheiten realisieren jedoch die kommunalen Wohnungsgesellschaften. Insgesamt liegt der Anteil preisgedämpfter Wohneinheiten in Berlin bei rund 19 % am Mietwohnungsvolumen und bei etwa 10 % am gesamten Neubaugeschehen.
Die Anzahl an geförderten Wohneinheiten in Berlin wird weiter zunehmen. Doch die angestrebte Menge reicht nicht aus: Sie müsste auf jährlich 10.000 Wohnungen verdoppelt werden, um die derzeit etwa 75.000 Wohneinheiten, die bis 2027 vollständig aus der Belegungsbindung entfallen, zu ersetzen.
Wohnungsbedarf höher als von Senatsverwaltung angesetzt
Aber nicht nur bei den belegungsgebundenen Wohnungen wird es eng: Laut bulwiengesa-Prognose bräuchte es bis 2030 jährlich mindestens 19.000 neue Wohnungen zur Nachfragedeckung. Die von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen angesetzten 14.000 neuen Wohnungen sind nicht ausreichend, um die zuziehende sowie bereits vor Ort lebende Bevölkerung mit angemessenem Wohnraum zu versorgen. Bei einer aktuellen Leerstandsrate von 1,6 % laut IBB-Wohnungsmarktbericht 2017 sind auch im Bestand kaum noch Reserven zu heben. Sollte die Bautätigkeit kurzfristig nicht spürbar anziehen, wird es zu dramatischen Wohnungsengpässen und Marktverzerrungen kommen.
Ausblick und Empfehlungen
Lange Verfahren und Kapazitätsengpässe führen u. a. dazu, dass das derzeitige Wohnungsangebot die Nachfrage nicht deckt, obwohl die höchsten Fertigstellungszahlen seit Ende der 1990er-Jahre für eine dynamische Bautätigkeit sprechen. Es ist zu erwarten, dass die Zahl der Einwohner und Haushalte weiterhin schneller steigen wird als die Wohnungsanzahl, die durch Neubau realisiert wird.
Durch diese Entwicklung ist ein sehr angespannter Wohnungsmarkt entstanden. Die aktuelle Bautätigkeit trägt zu keinen Entlastungseffekten bei. Die Politik ist entsprechend in der Verantwortung, auf breiter Ebene den Wohnungsneubau mit entsprechenden Maßnahmen zu fördern, zu vereinfachen und zu beschleunigen. Diese müssen sowohl auf rechtlicher Ebene hinsichtlich Planungs- und Genehmigungsverfahren als auch auf politischer Ebene bezüglich der Prioritätensetzung und Zuständigkeitsverteilung sowie bei der Liegenschaftspolitik erfolgen.
Folgende zehn Empfehlungen und Maßnahmen würden zur Erhöhung der Bautätigkeit beitragen:
1. Auf Bezirks- und Landesebene Priorisierung des Wohnungsneubaus mit Zurückstellung anderer Belange
2. Häufiger und großzügiger § 34 BauGB anwenden
3. Prüfung, welcher und ob B-Plan notwendig ist
4. Großzügige Erteilung von Abweichungen und Befreiungen von B-Plan-Festsetzungen bzw. bei Beurteilung nach § 34 BauGB
5. Vereinfachte Zulässigkeitsprüfung bei Nachverdichtungen wie Innenhofbebauung oder Dachgeschossausbau
6. Notwendigkeit von ergänzenden Gutachten/Verfahrensschritten für Baugenehmigung individuell hinterfragen
7. Einheitliche Entscheidungsstandards und deren durchgängige Anwendung wünschenswert
8. Bauverpflichtungen mit Ausreichung einer Baugenehmigung einführen, wobei nicht durch den Projektentwickler verschuldete Verzögerungen berücksichtigt werden
9. Nachverdichtung von extensiv genutzten Einzelhandels- und Gewerbearealen mit Wohnungsbau
10. Grundstücksangebot durch Umwandlung von gewerblichen Arealen in klassischen Wohnquartieren oder ehemaligen Infrastrukturflächen zu wohnungswirtschaftlichen Flächen erhöhen
Die vollständige Studie können Sie hier herunterladen.
Ansprechpartner: André Adami, Niederlassungsleiter Berlin bei bulwiengesa, adami [at] bulwiengesa.de